Geschichtliche Beiträge/ Heyo Onken / Die Künstlerin Amalie Onken und ihre Schwestern


Die Künstlerin Amalie Onken war eine Frau, die mit Geschick aus Wolle, Federn und Gräsern ganz besondere Kunstwerke schuf. Sie wurde 1905 in Westgroßefehn geboren und wurde für ihre Webkunst als Künstlerin weit über die Grenzen Ostfrieslands bekannt.  Sie lebte mit ihren Schwestern Amke, Frida und Berta im Haus ihrer Eltern Heyo Gerhard Onken und Anke Onken geb. Bohlen am Fehnweg in Westgroßefehn, dem Ruhesitz ihrer Eltern. Alle waren unverheiratet, als Folge des Ersten Weltkriegs, als viele junge Männer auf den Schlachtfeldern geblieben sind. Es war ein stattliches Fehnhaus mit einem großen Grundstück. Sie lebten überwiegend von der kleinen Landwirtschaft und wurden von ihrem Bruder Onke Heyen Onken (1896 – 1980) von der Mühle unterstützt.

Das Tantenhaus, wie wir es nannten, war für uns Kinder und die Dorfkinder ein liebenswerter Ort. Hier trafen wir uns über viele Jahre am Sonntagvormittag zum Kindergottesdienst, den Tante Berta abhielt. Außerdem gab sie vielen Kindern Klavierunterricht.

Das Haus hatte eine besondere Atmosphäre. Sie waren alle sehr kinderlieb, immer freundlich zurückhaltend, fromm und gebildet und für viele Themen immer aufgeschlossen. Eine besondere Ausstrahlung! 

Amalie, oder Mali, wie sie genannt wurde, wirkte in ihrem kleinen Weberhäuschen im Garten. Sie kaufte große Mengen an Wolle und Garn von der Firma Paehr in Aurich. Wir Kinder sahen ihr gerne zu, wenn sie an ihrem großen Webstuhl die Schiffchen durch die gespannten Kettfäden schleuderte und mit unterschiedlichen Farben ein Muster entstand. Teppiche webte sie auch aus ungesponnener schwarzer und weißer Wolle, als warme Bettvorleger.

In diesem großen Haushalt mit einem weitläufigen Garten, der kleinen Landwirtschaft mit ein paar Kühen, Schafen und Hühnern, wo Amke (1895 – 1978) als fleißiges Hausmütterchen für das leiblich Wohl sorgte, war es wie in einem Taubenhaus. Kinder, Nachbarn und Künstler gingen dort ein und aus. In besonderer Erinnerung ist mir ihr Gast Julius Klein von Diephold (1868-   1947), der aus Nordrhein Westfahlen stammte und später auf Norderney lebte, war des öfteren dort und wurde in einem Fremdenzimmer als Gast für mehrere Tage in der Familie aufgenommen. In Ostfriesland hat er seine Frau Margarethe Iderhoff kennen gelernt und 1925 geheitatet.

Auf der Insel und am Festland malte er in den Sommermonaten, während er die kalte Jahreszeit in Berlin oder Italien verbrachte. Seine Werke sind überwiegend ostfriesische oder italienische Landschaftsdarstellungen. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei das Berliner Atelier und eine große Zahl seiner Gemälde zerstört worden.  

Klein von Diephold mochte die Weite der offenen ostfriesischen Landschaft, die ihn an Flandern erinnerte, das habe ihn fasziniert. Viele schöne Gemälde hat er hier geschaffen, auch ein sehr wertvolles Bild unserer Mühle am Kanal, das er auf Norderney für 10.000, DM zum Verkauf angeboten haben soll.  Uns ist eine Zeichnung mit seiner Siegnatur, von meiner Oma Anke erhalten geblieben, das Bild hat bei uns im Wohnzimmer seinen festen Platz.

Amalie und Anna de Wall, die als Scherenschnittkünstlerin sich einen besonderen Namen gemacht hatte, waren eng befreundet. Sie hatte sich als junges Mädchen wegen eines Muttermals operieren lassen, was leider nicht gut verlief und zu einer Querschnittslähmung führte, durch die sie zeitlebens an den Rollstuhl gebunden hat. Weil sie nur sitzende Tätigkeiten verrichten konnte wurde der Scherenschnitt zu ihrer Lebensaufgabe, die sie bis ins Kleinste perfekt beherrschte.

Der künstlerische Nachlass von Amalie Onken (1905 – 1984) ist sehr spärlich. Vieles ist im Laufe der Jahre verloren gegangen oder entsorgt worden. Im Müllerhaus haben wir ein besonders wertvolles Stück, ein geknüpfter Wandteppich mit dem Ostfrieslandwappen. Dieses Modell hat sie drei Mal angefertigt. Eins wurde an das niederländische Königshaus verkauft, die weiteren Exemplare verschenkte sie an uns und an ihr Nachbarhaus Familie Buss.

Alle sechs Tanten blieben kinderlos. Christine (1899 – 1948) heiratete den Landwirt Johannes Helmers in Simonswolde, bei dem sie zeitweise lebte, in den Kriegsjahren aber überwiegend bei ihren Schwestern in Westgroßefehn wohnte. Anna (1897 – 1927) war Krankenschwester in Hannover auf einer Tuberkulosestation. Dort steckte sie sich an, und kehrte zurück ins Elternhaus. Ihre jüngste Schwester Berta (1908 - 1991) pflegte sie. Auch sie erkrankte an derselben Krankheit. Während Anna starb, konnte Berta durch Stilllegung einer Lungenhälfte gerettet werden, jedoch mit einer starken gesundheitlichen Einschränkung. Körperliche Arbeit war kaum möglich. Sie brauchte viel Ruhe und zog sich oft in ihr kleines Gartenhäuschen zurück, las viel und ging ihren musischen Gedanken und der Musik nach. 

Der sonntägliche Besuch im Haus bei Oma und den Tanten war immer ein Erlebnis für uns Kinder. Die Atmosphäre war herzlich und alle Gäste waren immer gern gesehen. Der gepflegt gedeckte Teetisch mit schöner Tischwäsche und dem zarten chinesischen Porzellan auf dem wir die Tänzerinnen der fremden Kultur gerne verfolgten. Und die Keksdosen, deren Äußeres noch verlockender war als der Inhalt. Ich erinnere mich an eine russische Schlittenfahrt mit drei galoppierenden Pferden, die von einem Rudel Wölfe verfolgt wurden.

Während sich die Erwachsenen nach dem Tee unterhielten, wurden wir Kinder von Tante Berta und Tante Mali mit wertvollem Spielzeug versorgt, oder es wurde mit Klavierbegleitung gesungen. Vor dem Abschied gab es oft noch etwas aus dem Glas aus dem eigenen Garten. Besonders lecker waren immer die Quitten für die Tante Frieda (1902 – 1981), ein schmackhaftes Rezept hatte. Im Spätsommer durften wir noch in den Garten und uns lekkere Krim- Äpfel pflücken. Dieser Baum hat eine besondere Geschichte: Johannes Helmers war als Soldat in der Ukaine. Seiner Frau Christine und den Schwägerinnen schickte er ein paar Äpfel. Von diesen schmackhaften Äpfeln pflanzten die Tanten einige Kerne in einen Blumentopf aus denen ein Baum wurde. Dieser fand einen sonnigen Platz im Garten und fand großen Zuspruch. Gärtnermeister Klaus Kortmann hat durch Veredlung eine große Verbreitung des Apfels unter dem Namen Ukainer Sämling auf den Markt gebracht. Diese Veredlung hat auch den Weg ins Ökowerk Emden gefunden und wird auch dort unter vielen anderen Sorten angepriesen.

Tante Berta überlebte alle ihre Geschwister. Sie lebte zuletzt alleine in dem geräumigen Haus. Sie versorgte sich überwiegend selbst, doch ihre Nachbarin Margarete Cassens besuchte sie und half ihr täglich. Aber auch meine Frau Uda stand ihr hilfreich zur Seite und brachte ihr über lange Zeit täglich das Mittagsessen. Als sie bettlägerig wurde fand sie einen Platz in einem privaten Pflegeheim in Großheide. Dort verstarb sie am 5. Januar 1991 und wurde neben ihren Geschwistern auf dem Friedhof in Timmel zur letzten Ruhe gebettet.  

Die Erinnerung an das Tantenhaus ist nach wie vor von besonderem Wert.

Heyo Onken